Rechtschreibung

Ein paar einleitende Worte

Die deutsche Rechtschreibung wurde 1996 reformiert. Und 2004. Und 2006. Das Ergebnis ist deprimierend. Den gesamten Werdegang der Reformbemühungen kannst Du bei Wikipedia nachlesen. Mit der Reform sollte die Rechtschreibung der deutschen Sprache vereinfacht werden.

Eines muß ich vorwegeschicken: Ich bin ein großer Befürworter von Reformen, wenn sie Sinn ergeben. Aus eben diesem Grund bin ich gegen die "Neue Schlechtschreibung" und will das an Beispielen erläutern.

Muß ich die "Neue Rechtschreibung" befolgen?

Nein. Die Regeln sind für Schulen und den öffentlichen Dienst verbindlich. Wer also weder an dem einen noch dem anderen Ort arbeitet, ist nicht verpflichtet, nach diesen Regeln zu schreiben. Gegen die Einführung der Reform gab es viele Volksentscheide und Klagen. Höchstinstanzlich wurde vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt (BVerfG, 1 BvR 698/06 vom 2. Mai 2005), die Klage wurde mit der alles entscheidenden Begründung nicht zugelassen: Die Neue Rechtschreibung ist für Privatpersonen nicht verbindlich.

Leider sind nach anfänglichem Widerstand alle Publikationen eingeknickt. Offenbar haben sich zu wenige mit den Argumenten gegen die Reform auseinandergesetzt.

Die wichtigsten Regeln

Werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Regeln der Reform. Als Grundlage nehme ich Crashkurs: In 22 Schritten zur neuen Rechtschreibung.

Regel 1: Fluss statt Fluß

Nach einem kurzen Vokal (Selbstlaut) wird aus ß ein ss (Doppel-s).

In der Praxis ist bei den meisten Menschen leider angekommen, daß man jetzt 'ss' statt 'ß' schreiben solle. Davon wird reichlich Gebrauch gemacht. Ich lese jetzt "Strasse", "Fleiss", "Strauss", "Spiess", "aussen", "beissen", "draussen", "heissen", "ausser" und dergleichen mehr.

Diese Regel setzt voraus, daß man weiß, wie das Wort vorher geschrieben wurde, woher soll man sonst wissen, ob nach einem kurzen Vokal ein 's' oder 'ß' kommt? Viele vereinfachen sich die Regel dergestalt, daß nach einem kurzen Vokal immer ein 'ss' kommen muß. Durch diese Fehlinterpretation schrieben Kinder "dass Pferd" und "Glaß". Eine gute Regel hätte eine neutrale Herleitung der Schreibweise formuliert. Es wäre sogar konsequenter gewesen, einfach das 'ß' abzuschaffen und durch 'ss' zu ersetzen – obwohl ich es sehr vermißt hätte.

Regel 2: Brennnessel statt Brennessel

Wenn in Zusammensetzungen drei gleiche Buchstaben aufeinandertreffen, bleiben alle erhalten.

Das kann man machen. Die Lesbarkeit leidet allerdings deutlich.

Regel 3: Exposee statt Exposé

Die französischen Endungen é und ée können in einigen Wörtern durch ee ersetzt werden.

Warum sollte man so etwas erlauben? Fremdsprachliche Wörter müssen so geschrieben werden, wie sie in der Originalsprache geschrieben werden. Akzente und andere Umlaute und Sonderzeichen sind heutzutage auf jedem Computer schreibbar und darstellbar. Sollten eine Darstellung keine Sonderzeichen erlauben, behilft man sich mit Umschreibungen – aber das galt auch bereits vor der Reform.

Regel 4: Paragraf statt Paragraph

Die Verbindung ph kann in allen Wörtern mit den Stämmen phon, phot, graph durch f ersetzt werden.

Auch diese Regel trägt schlicht zur Verarmung und Verdummung bei. Die Wortstämme stammen aus dem Griechischen und werden auch in anderen Sprachen entsprechend übernommen. Wieso sollte man also die Wortherkunft leugnen und ein Fremdwort eindeutschen? Im Gegenzug lernt man indirekt durch diese Wörter etwas über ihre Herkunft und kann Transferleistungen zu anderen Fremdwörtern erbringen.

Regel 5: Storys statt Storys/Stories

Englische Nomen (Hauptwörter), die auf -y enden, bilden den Plural (die Mehrzahl) durch das Anhängen eines -s.

Diese Regel ist genauso schlimm wie die vorangegangene Regel. Wer im Deutschen gelernt hat, daß er auch "Hobbys" an Stelle von "Hobbies" schreiben kann, darf dadurch nun im Englischen erneut lernen, wie man den korrekten Plural bildet. Herzlichen Glückwunsch.

Regel 6: substanziell statt substantiell

Wörter auf -tial und -tiell können mit z geschrieben werden, wenn es verwandte Wörter auf z gibt.

Können … müssen aber nicht und sollten auch nicht. Auch hier droht wieder die Verdummungsfalle: Die Leute fangen an, alles, was wie "z" klingt, mit eben diesem zu schreiben. Ich habe bereits "inizialisieren" gelesen. Analog zu den vorangegangenen Regeln gilt: Hände weg von fremden Sprachen!

Regel 7: spazieren gehen statt spazierengehen

Verbindungen von einem Verb (Zeitwort) im Infinitiv (in der Grundform) mit einem zweiten Verb (Zeitwort) werden in der Regel getrennt geschrieben.

Es gab mal eine sehr schöne Regel: "Wenn die Betonung vorne ist, schreib es zusammen." Diese Regel ist nicht so ein Totalausfall wie viele der anderen Regeln, aber der natürliche Lesefluß sagt mir, daß jedes Wort einzeln betont wird, daher erscheint es mir logischer, daß die alte Regel sinnvoller ist.

Regel 8: Rad fahren statt radfahren

Verbindungen von Nomen (Hauptwort) und Verb (Zeitwort) werden getrennt geschrieben.

Auch diese Regel ist nicht so schlimm. Analog zu Regel 7 tendiere ich auch hier dazu die Schreibweise der Sprechweise anzupassen.

rechts halten statt rechtshalten

Hier wurde uns eine komplette Bedeutungsebene gestohlen. Es gibt ein Unterschied in der Bedeutung, ob ich "rechts halte" oder mich "rechtshalte": Im ersten Fall, halte ich rechts an, im zweiten Fall halte ich mich rechts, bewege mich aber weiter fort. Auch diese Schreibweisen waren vor den Reformen eindeutig und klar, nun muß man zunächst den Kontext deuten, bevor man entscheidet, ob man anhalten oder weiterfahren soll.

Der neue Hang zur Getrenntschreibung führt zu den schlimmsten Stilblüten. Ich habe bereits "aus ein ander zu halten" gelesen. Kein Kommentar.

Regel 9: dabei sein statt dabeisein

Verbindungen mit dem Verb (Zeitwort) sein werden jetzt stets getrennt geschrieben.

Mit dieser Regel kann man leben.

Regel 10: irgendjemand statt irgend jemand

Verbindungen mit irgend- werden zusammengeschrieben.

Nachdem wir nun in den letzten Regeln ständig daruf hingewiesen wurden, daß man die Worte lieber getrennt als zusammen schreiben sollte, gibt es jetzt die Rolle rückwärts. Warum sollte "irgendjemand" nun besser als "irgend jemand" sein?

Regel 11: mithilfe statt mit Hilfe

Diese Regel widerspricht auch dem, was bisher reformiert wurde. Diese Regel ergibt nach der "Betonungsregel" ebensowenig Sinn wie nach der "Verwechslungsregel": es gibt einen Unterschied zwischen "Mithilfe", bei der ich jemandem helfe, und "mit Hilfe", wo ich eine Hilfe in Anspruch nehme. Die reformierte Schreibweise erlaubt zwar auch noch die Getrenntschreibung, was die Regel aber nicht besser macht. Es ist eine Regel mehr, nach der jeder so schreiben kann, wie er möchte.

Regel 12: 10-jährig statt 10jährig

In Zusammensetzungen mit Ziffern wird ein Bindestrich gesetzt.

Nein, sollte er nicht. Davon abgesehen, daß man Zahlen (und es Zahlen und keine Ziffern sind) bis zwölf immer ausschreibt und daher das Beispiel bereits fehlerhaft ist, machen wir ein kleines Gedankenexperiment: zehn-jährig, sieben-tägig, drei-faltig, zwei-fach, ein-malig? Die Regel taugt nichts. Nun nehmen wir an, daß der Fokus tatsächlich auf dem Erscheinen von Ziffern liegen soll, demnach wäre es richtig zehnjährig und 10-jährig zu schreiben, obwohl "jährig" kein eigenständiges Wort ist? Da scheint mir zehnjährig und 10jährig sehr viel sinnvoller.

Regel 13: Lotto-Annahmestelle statt Lottoannahmestelle

Der Bindestrich kann zur Gliederung von unübersichtlichen Zusammensetzungen gesetzt werden.

Bedurfte es hier wirklich einer Regel? In der Regel schreiben wir alle zusammengesetzte Substantive zusammen. Warum sollte ich "Lotto-Annahmestelle" und nicht noch besser "Lotto-Annahme-Stelle" schreiben? Auch hier erlebe ich täglich sehr kreative Bindestrichtrennungen, frei nach dem Motto "Ich habe gehört, daß man jetzt alles mit Bindestrichen schreiben kann."

Ich setze Bindestriche ein, um Wortteile aus zwei verschiedenen Sprachen von einander zu trennen, Beispiel: Fair-Play-Preis oder Chanson-Sängerin.

Regel 14: Ich danke dir für deinen Brief statt Ich danke Dir für Deinen Brief

Die Anredepronomen (Anredefürwörter) du und ihr können mit allen ihren Beugungsformen auch in Briefen und Urkunden kleingeschrieben werden.

Die Anrede sollte man schon aus einem Grund groß schreiben: Es gibt einen Unterschied zwischen Sie und sie. Ohne diese Unterscheidung kann es schwer werden, jemandem Anweisungen per E-Mail eindeutig zu erteilen. "Sie informieren sie", "sie informieren Sie" – kleiner Unterschied, oder? Nun sagt die Regel, daß man nur "Du" klein schreiben darf, nicht aber "Sie". Warum wird eine Differenzierung der Schreibweise mit einem Ausnahmetatbestand erlaubt? Ich finde es sinnvoller eine einheitliche Regel zu haben: Wenn Du jemanden anschreibst, schreibst Du die Anrede groß. Punkt.

Regel 15: das ohmsche Gesetz statt das Ohmsche Gesetz

Ableitungen von Personennamen auf -(i)sch werden kleingeschrieben.

Das schöne an der alten Schreibweise ist, daß auch hier bereits eine weitere Deutungsebene mitgegeben wird: Wenn ich "Ohmsches Gesetz" lese, weiß ich sofort, daß "ohmsch" keine Eigenschaft ist, sondern von jemandem hergeleitet worden ist, der wohl Ohm hieß. Wieder eine überflüssige Regel, die keinen Mehrwert bietet, sondern eher noch die Sprachverarmung vorantreibt.

Noch lustiger ist der Vorschlag, man könne zur besseren Betonung ein Apostroph setzen: ohm'sches Gesetz – als wären nicht bereits genug Deppen-Apostrophs in der Welt.

Regel 16: heute Abend statt heute abend

Tageszeiten nach den Adverbien (Umstandswörtern) heute, vorgestern, gestern, morgen und übermorgen werden großgeschrieben.

Endlich mal wieder eine sinnige Regel. "Der Morgen", "der Mittag", "der Nachmittag", "der Abend" werden großgeschrieben.

Regel 17: Groß und Klein statt groß und klein

Paarformeln für die Bezeichnung von Personen werden großgeschrieben.

Und kaum gibt es eine sinnige Regel, kommt der nächste Unsinn um die Ecke. Um fair zu sein: Keine der Schreibweisen ist befriedigend, aber ehrlich gesagt, tur mir die reformierte Schreibweise optisch sehr viel mehr weh als die alte.

Regel 18: Ich gehe ins Kino oder ich singe statt Ich gehe ins Kino, oder ich singe

Bei Hauptsätzen, die mit und bzw. oder verbunden sind, kann ein Komma gesetzt werden, um die Gliederung des Satzes zu verdeutlichen.

Wenn zwei vollständige Hauptsätze mit einander verbunden werden, wird ein Komma gesetzt. Das Komma ist nach der Reform optional, aber die Begründung behauptet, daß man damit die Gliederung des Satzes verdeutlichen kann, wenn man das wünscht. Eine etwas schizophrene Begründung.

Regel 19: Er versprach den Text zu lernen statt Er versprach, den Text zu lernen

Bei Infinitivgruppen (Grundformgruppen) muss in nur noch drei Fällen ein Komma gesetzt werden.

Super, die Regel stellt die Nutzung des Kommas frei und definiert gleichzeitig drei Ausnahmen von der Regel. Regeln, die immer anwendbar sind, haben einen Vorteil: sie sind immer anwendbar.

Regel 20: Fens-ter statt Fen-ster

Die Buchstabenfolge st wird wie sp, sk, pf usw. getrennt.

"Trenne nie 'st', denn es tut ihm weh." Diese Regel ist gut und einfach. Es gibt nach meiner Kenntnis keinen Fall, in dem man die alte Regel schmerzlich vermißte.

Regel 21: Zu-cker statt Zuk-ker

Die Buchstabenfolge ck wird wie ch, sch, ph usw. auf die nächste Zeile gesetzt.

Und schon wird der gute Ansatz aus Regel 20 wieder konterkariert. Die korrekte alte Schreibweise gab einen Hinweis darauf, wie das Wort gelesen werden muß (kurzes oder langes 'u'). Die neue Schreibweise stiehlt diesen Hinweis, es wäre sogar noch akzeptabel gewesen "Zuc-ker" als Schreibweise vorzuschlagen.

Regel 22: wa-rum statt war-um

Wörter, die nicht mehr als Zusammensetzungen erkannt werden, kann man nach Sprechsilben trennen.

Dies ist auch eine sinnvolle Regel, da die Lesbarkeit erhöht wird.

Zwischenfazit

Jetzt haben wir also einen kleinen Ritt durch den Duden-Crashkurs gemacht. Ich komme auf vier Regeln, die gut sind, drei unentschiedene und einem desolaten Rest. Werfen wir nun noch einen Blick auf ein paar weitere schlimme Auswirkungen der Reform.

Weitere schlimme Auswirkungen

Albtraum
Der Alptraum hat seinen Namen daher, daß nachts ein Fabelwesen namens 'Alp' sich dem Schläfer in den Bauch krallt und dadurch schlechte Träume verursacht. Der Alp steht auch im Wörterbuch. Die Alb ist eine ländliche Region. Hier wurde wieder die Rechtschreibschwäche zum Standard erklärt.
Delfin
Don't fix, what ain't broken. Ich kenne niemanden, der sich mit der Schreibweise von "Delphin" schwergetan hätte; warum mußte sie geändert werden?
Majonäse
Ich hatte es bereits oben erwähnt: Fremdsprachige Wörter werden korrekt nach der Rechtschreibung der fremden Sprache geschrieben. Wer ernsthaft Majonäse an Stelle von Mayonnaise schreibt, dokumentiert damit nur seine Ignoranz.
Tipp
Noch eine schöne Bedeutungsverarmung. Ein Tip ist ein Hinweis oder ein Trinkgeld, ein Tipp wird ausgeführt, wenn man eine Tastatur nutzt. Warum sollten diese Begriffe jetzt zusammengelegt werden?